"Songtexte schreiben is’ wie in Wald scheißen .... du musst nur genuch Papier dabei ham!“
- Ein Expose -
„„In den späten 80ern und frühen 90ern war alles besser.“
Falsch.
Einige Dinge begannen gerade.
Sie mögen vielleicht frischer, unverbrauchter und neuer oder exotischer dahergekommen sein, aber sie waren nicht unbedingt besser.
Songtexte schreiben is’ wie im Wald scheißen erteilt dem Revival-Trend in der Kulturlandschaft daher eine klare Absage in Sachen überproportionaler Romantisierung.
Andreas Wuttke und seine Band Deathtroja stecken mittendrin in der explodierenden Metal-Szene und müssen sich gleichzeitig mit Themen auseinandersetzen, die alle Bands zu allen Zeiten beschäftigt haben und ganz sicher auch immer werden, unabhängig vom Bekanntheitsgrad:
Das Besetzungskarussel, schwer überbrückbare musikalische Differenzen, das Lead-Singer-Syndrom, feste und lockere Beziehungen, unterschiedlich ausgeprägte Intellekte, die Künstlerseele, mieses Equipment, heruntergekommene Proberäume, Alkohol, Drogen und die Frage der definitiven Coverversion.
Nicht einfacher macht es den Jungs der Dunstkreis aus Neidern, Besserwissern, gescheiterten Musikern und Fred Fachmännern, der um eine Band herumwabbert, manchmal helfen, manchmal mitreden, meistens aber einfach nur dazugehören oder auch ein wenig geliebt werden möchte.
Als echte Hörder Jungs – Hörde ist ein Stadtteil von Dortmund, der gängige Klischees von Stahl (Hoesch) und Bier (Stifts) bedient – kommunizieren Deathtroja in einer kruden Mischung aus Ruhrgebietsdialekt, Anglizismen, Sprachdeformierungen und Wortneubildungen. Zu behaupten, Songtexte schreiben is’ wie im Wald scheißen sei von der sprachlichen Seite her leicht zu lesen, wäre daher eine eher gewagte Theorie.
Wer sich aber darauf einlässt, Deathtroja auf Augenhöhe zu begegnen, vor dem wird sich eine breite Palette sprachlicher Perlen und eine Fülle an schrägen Bildern auffächern.
Die prioritäre Verantwortung dafür trägt Protagonist und Erzähler Wuttke, Student und Nebenbei-Verdiener, Anfang zwanzig, der den Leser quasi in Echtzeit an seiner Denke teilhaben lässt.
Bei allem, was er beschreibt, ist Wuttke immer ein bisschen „drüber“, aber nicht so viel, als dass man es ihm übel nehmen könnte; eher wie bei einem sehr realistischen Science Fiction, wo die Grenzen mitunter verschwimmen.
Trotzdem wäre es sicher ein Fehler, Wuttke alles zu glauben und durchgehen zu lassen, denn Songtexte schreiben is’ wie im Wald scheißen berücksichtigt ausschließlich seine persönliche Perspektive. Daher wundert es kaum, dass er aus den meisten Konflikten als moralischer oder tatsächlicher Sieger hervorgeht, was besonders deutlich in den Szenen wird, die nichts mit Musik zu tun haben.
Aber so sehr ihn das „Band-Ding“ auch manchmal nervt, er ist letztendlich derjenige, der für Ausgleich zwischen den extremen Charakteren sorgt und die Band als Gruppe und Einheit zusammenhält.
Wuttke kommt mit Steffi zusammen, ebenfalls ein echtes Hörder Gewächs, die versucht, den Spagat zwischen ihrem recht bürgerlichen Job bei der BFA und dem eher lockeren Lebensentwurf im Deathtroja Umfeld hinzukriegen. Sie entscheidet sich überraschend pro Karriere, stellt jedoch bald fest, dass diese Entscheidung grundverkehrt war.
Neben Wuttkes diplomatischen Fähigkeiten zehren Deathtroja aber auch oft von der Pedanterie eines Teschke, bester Freund von Wuttke und Basser in Personalunion, der sich auf schrägen Wegen in Krankenschwester Babsi verknallt und nebenbei noch einen Gig-Trip nach Griechenland einstielt. Falls es gängige Vorurteile in Bezug auf Deutsche und Griechen gibt, auf Naxos werden sie auf den Kopf gestellt.
Babsi bringt einen gesunden Pragmatismus bei allem ein, woran man sie beteiligt und neigt dazu, ihre Meinung recht ungefiltert zu verbalisieren. In der Beziehung mit Teschke wie auch in anderen Situationen zeigt sie oft ihre dominante Seite. Denn eine muss ja den Überblick behalten.
Sich selbst und meist auch der Band im Weg steht Neuzugang Schröder, der an einer seltenen Form von Narcolepsie leidet, deren Begleiterscheinungen er jedoch unterschätzt, sich in der Psychiatrie wiederfindet und die Band damit zeitweilig leadguitar-less macht. Letztendlich beeindruckt ihn die Sache jedoch nicht so nachhaltig, als dass er sein Leben grundlegend ändern würde. Stopp! Das zu behaupten wäre nicht fair. Statt zu seinem Arbeitsberater zu gehen, besucht er nun Treffen der Antifa. Was hingegen den Rest der Band nur minder interessiert.
Rene „Pavarotti“ Pavermann verdient sein Geld bei einer dubiosen Firma im Dortmunder Hafen und kommt in vielen Situationen sehr einfach strukturiert rüber. Gerne würde er sich seine Texte aus dem Ärmel schütteln, aber dazu reicht seine Kreativität nicht. Andererseits ist er ein top Sänger. Nach einer abgefahrenen Proberaumparty ändert sich sein Leben komplett, da er Verantwortung als künftiger Familienvater übernehmen muss. Das scheint jedoch noch in sehr weiter Ferne zu liegen, da er nicht einmal seine Beziehung auf die Reihe bekommt.
Beckmann sitzt nicht nur hinter den Drums, sondern findet seine Bestimmung auch darin, Situationen mit seinen politisch angehauchten Metaphern zu untermalen. Gleichzeitig hat er einen recht florierenden Handel mit weichen Drogen laufen. Eine weitere, immer wiederkehrende Motivation: Ein Mädchen namens Elsa beeindrucken.
Die Fisher-Sisters Keisha und Ruby sind plötzlich da, als Wuttkes Beziehung zu Steffi kriselt, Keisha als Femme Fatal, Ruby als Freundin und Kumpeline. Dabei will Wuttke eigentlich nur Steffi zurück. Ohne Rubys Unterstützung ist das kaum möglich.
Die ohnehin schon vertrackten Band- und Zwischenmenschverhältnisse noch komplexer zu machen, das scheint das Ziel der Nebenfiguren Micky, Helen alias die deutsche Helga, Buden-Kurt und Miriam zu sein. Und gerade im Bandkontext gibt es viele sinnlose Konflikte, die scheinbar einfach deswegen ausgetragen werden müssen, weil es eben alle Bands so handhaben.
Auf eine reduzierte Formel gebracht:
Songtexte schreiben is’ wie im Wald scheißen beschäftigt sich mit dem Spannungsfeld zwischen den beiden Polen „sein Ding durchziehen“ und „Kompromisse eingehen“.
Und beinhaltet nebenbei noch eine beinharte Lovestory.
Was anfangs als lose Sammlung von Kurzgeschichten gedacht war, von denen ein kleiner Teil im Kontext des Mitmachprojektes im Schreiblust Verlag entstanden ist, ergab eines morgens einen erschreckend deutlichen roten Faden. Am Ende des nachfolgenden Denkprozesses stand die Erkenntnis, vielleicht schon immer ein schlechterer Gitarrist als Autor gewesen zu sein. Was letztendlich das „Go“ dafür darstellte, die Fäden der einzelnen Storys zu verknüpfen.
Natürlich lässt sich eine Band wie Deathtroja nach 237 Seiten nicht einfach den Saft abdrehen, ebensowenig wie ihr Umfeld mit handelnden und ertragenden Figuren. Sie haben den Autor zum Schreiben weiterer Bandstorys genötigt.
Songtexte schreiben is’ wie im Wald scheißen wird daher definitiv nicht ohne Fortsetzung bleiben ...
Sonderkurs, bevor bald die überarbeitete 2024er Print-Auflage mit zwei zusätzlichen Kapiteln erscheint!
NUR SOLANGE VORRAT REICHT!
(aktuell noch 34 Exemplare vorrätig,
Stand 28.04.24)